Schauspiel-Kritiken


Abendzeitung München, 04.06.2012
Abendzeitung München, 04.06.2012

KRITIK "Hoffmanns Bekenntnisse" 2010

 

 

Abendzeitung vom 19.07.2010


Wer Liebe mag und Einigkeit, der trinkt auch mal ne Kleinigkeit
Die Liebe und der Suff sind es, die, wie es in einem Trinklied heißt, nicht nur den Menschen "uffreiben", sondern auch den Helden von Jacques Offenbachs Oper antreiben. Handlungsort ist der Weinkeller von Lutter & Wegner, eine Institution in der Gastronomie Berlins.
Nicht nur der Schauplatz von "Hoffmanns Erzählungen" ist authentisch,
sondern auch die Tatsache, dass E. T. A. Hoffmann zur Einrichtung
gehörte. An einem der Suffabende erwartet der Dichter seine Flamme, die
Sängerin Stella. Die hat noch mit "Don Giovanni" zu tun, und da so eine
Mozart-Oper lange dauert, erzählt er unterdessen seinen Zechkumpanen drei phantastische Geschichten verflossener Lieben. Für "Hoffmanns Bekenntnisse" interpretiert Bühnenbildnerin Christl Wein mit breiten Regalen voller grün leuchtender Flaschen und einem libido-roten Boden
das Motto von Liebe und Suff sehr bildstark. Der Plan der Bayerischen Theaterakademie, die Oper für Schauspieler umzuarbeiten, erscheint nicht abwegig, denn die Vorlage ist ein Schauspiel von Jules Barbier. Ganz wollte man für den Abend im Innenhof der Alten Münze nicht auf Offenbachs süffige Arien verzichten. So entstand unter der Regie von
Anne Compter ein seltsam unentschlossenes Ereignis. Das Musiktheater wird nicht bedient, denn die Schauspielstudenten verfügen zwar über beeindruckende stimmliche Begabungen (beispielsweise Sophie Rogall als mechanische Olympia oder Lea Marlen Woitack als venezianische Giulietta), sind aber naturgemäß nicht operntauglich. Andererseits
bleibt das Ensemble in den statischen Gruppenarrangements schauspielerisch eher unterfordert. Wirklich interessant sind vor allem Rudi Hindenburg in der Titelrolle - ein etwas spröde existenzialistischer Dichter, dem man für "Hoffmanns Bekenntnisse" noch etwas mehr Farbe und Frechheit gewünscht hätte - und Gisa Flake als Power-Muse im immerwährenden Ringen im Kampf gegen die Liebe zu den Frauen und für die Hingabe zur Kunst.

 

Mathias Hejny
Alte Münze, bis 7. 8., Di. bis Sa., 20.30
Uhr, Tel. 21 85 28 99 (bei Regen um 21
Uhr im Akademietheater, Wetter Tel. 21
85 28 27)
© 2010 PMG Presse-Monitor GmbH


DONAUKURIER vom 21.07.2010

Studenten der Bayerischen Theaterakademie spielen „Hoffmanns Bekenntnisse“ - Beschwingtes Sommertheater

 

Zu Jacques Offenbachs „Barcarole“ tänzeln und schlurfen sie auf die Bühne, betrachten sich eitel oder prüfend in den überdimensionalen Spiegeln, um sich dann auf Caféhausstühlen lässig oder bewusst dramatisch niederzulassen: Olympia, Antonia, Stella und Giulietta, noch in schwarzer Alltagskleidung, die Liebchen des Dichters E.T.A. Hoffmann, samt den geheimnisvollen männlichen Wesen wie der Zauberer- Tüftler Prof. Spalanzani, der dämonische Arzt Dr. Mirakel und der Augen-
Magier Coppelius. Schlemihl (Marius Borghoff) als babbelnder Proll mit
Schiebermütze und Hosenträgern zur Short sowie Hoffmann selbst (Rudi Hindenburg) als teils smarter, teils verzweifelter Menschen- und Seelenfänger nicht zu vergessen. Ein ungemein hübsches Arrangement ist
das zum Auftakt eines mit viel Spielfreude und witzigen Regieeinfällen
getränktes Sommertheaters im Innenhof der Alten Münze. Oben der wolkenlose Abendhimmel und ringsum die Renaissancearkaden
des ehemaligen Marstalls der Wittelsbacher, später Kunstdepot,
Münzprägeanstalt und jetzt Sitz des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege. Und symbolisch-stilvoll hinter der mit Lichtschlangen gesäumten, in Samtrot leuchtenden Bühne (von Christl Wein): Schier endlose Batterien von Weinflaschen zwischen den mächtigen
Torbögen, aufgereiht in den Regalen wie Zinnsoldaten. Schließlich befinden wir uns ja auch in Lutters Weinkeller, Treffpunkt der Studenten und Musenjünger, der Schönen und der Exzentrischen. Aus den Erzählungen des Multitalents E.T.A. Hoffmann (1776–1822) und der
darauf fußenden Offenbach-Oper (von 1881) haben die Regisseurin Anne
Compter und der dritte Jahrgang von Jochen Schölchs Studiengang Schauspiel der Bayerischen Theaterakademie eine 70-minütige Fassung unter dem Titel „Hoffmanns Bekenntnisse“ erstellt. Eine äußerst gelungene Mischung aus Sprechtheater und Singspiel: „Hoffmann
light“ für einen lauen Sommerabend. Wenngleich die zweistöckigen Arkadenzu wenig genutzt wurden, so ist das Doppelbödige zwischen romantischer Fantasie und der Realität der erhofften und gescheiterten Liebesbeziehungen der tragischen Figur des Schwadroneurs
Hoffmann ideal umgesetzt worden. Vor allem Claudia Carus kämpft mit hinreißender jugendlicher Unbeschwertheit gegen die Schwindsucht der Antonia an, während Josephine Köhler die Sängerin Stella als frustrierte, alternde Primadonna kongenial verkörpert, und die Szene mit der mechanischen Puppe Olympia (Sophie Rogall) als ein hübsch serviertes Musterbeispiel von Täuschung und Selbsttäuschung serviert wird. Und der Venedig-Akt mit der Kurtisane Giulietta (Lea Woitack) schnurrt hier wie eine miese Nachtclubshow mit e i n e m h e r r l i c h s c h m i e r i g e n
Conférencier am Mikro (Matthias Renger), einer prächtigen Karikatur eines
heißblütigen spanischen Machos (Nahuel Häfliger) samt reichlich lasziven
Mädels und bedepperten Freiern ab. Dazu Christoph Weber, der am Klavier musikalisch stimmungsvoll begleitet.
Und Hoffmanns Muse, die die Fäden aller Abenteuer in der Hand hält, ist in dieser Akademie-Fassung kein geheimnisvolles Wesen, sondern (in der Personifizierung durch Gisa Flake) eine stämmige und handfeste Femme de plaisir. Köstlich. Im Übrigen wenig Spuk und Magie, stattdessen sinnliches Theater mit viel Ironie und schönem Gesang.
Eine entzückende Sommernachtspetitesse.

Süddeutsche Zeitung 20.07.2009   05:00 Uhr
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Blumen der Liebe

Shakespeares ¸¸Wie es euch gefällt" in der Alten Münze

So verregnet dieser Sommer auch sein mag: Zur Premiere von Shakespeares "Wie es euch gefällt" hatte es der Wettergott gut gemeint. Kein Wölkchen trübte die Freilichtaufführung, die die Bayerische Theaterakademie mit dem 3. Jahrgang des Studiengangs Schauspiel alljährlich in der Alten Münze veranstaltet. Der prächtige Arkadenhof des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege bietet Platz für stattliche Bühnenbilder. Jörg Brombacher hat ihn genutzt und einen riesigen grünen Felsen hineingewuchtet. Er erlaubt es den zwölf überzeugenden, gelegentlich noch etwas naiv wirkenden Schauspielern, auf drei Ebenen zu agieren. Auf der unteren regiert der Usurpator Frederick, auf der mittleren und oberen haust der verbannte Herzog samt Gefolge. In Höhlen.

Der Wald von Arden ist schwer zugänglich in dieser Inszenierung von Mario Andersen, nur zu erklimmen über steilen, von Wurzelwerk überzogenen Fels. Trotzdem finden am Ende genau hier alle zueinander: Der Narr Probstein und seine Ziegenhirtin Käthe; Schäfer Silvius und seine Schäferin Phöbe; Celia, die ausgebüxte Tochter Fredericks und der geläuterte Fiesling Oliver; und natürlich dessen jüngerer Bruder, der einfältige, aber herzensgute Orlando und seine Rosalinde, die bezauberndste unter Shakespeares Heldinnen. "Wie es euch gefällt" ist reinste Utopie, Andersen macht das sichtbar.

Und deshalb ist die eigentliche Hauptfigur des Abends auch nicht die so gewitzte Verkleidungskünstlerin Rosalinde (erst hübsch prinzessinnenhaft und dann als Ganymed frech burschikos: Bettina Lieder), sondern der Edelmann Jacques, auch er einer der Verbannten.

Gisa Flake spielt ihren "Monsieur Weltschmerz" als zynischen Realisten. Ganz in Schwarz, mit weißgeschminktem Gesicht und rotem Mund verleiht sie ihm zudem etwas Bedrohliches. Ja, ein wenig erinnert sie an den Joker aus den Batman-Filmen. Sie ist stets anwesend, lehnt als stille Beobachterin am Rand, ihre Gesichtszüge verraten Verachtung für den neckischen Paarreigen. Aber auch Eifersucht.

FLORIAN WELLE

Süddeutsche Zeitung

16.03.2009

 

Unter der Oberfläche

Antje Schupp inszeniert ¸¸Onkel Wanja" in der Akademie

 

"Fünfundzwanzig Jahre habe ich hier, wie ein Maulwurf in diesen vier Wänden gesessen . . ." Wanjas ganze Verzweiflung über ein verfehltes Leben drückt sich aus in diesen wenigen Worten. Sie haben offenbar auch Regisseurin Antje Schupp und Bühnenbildnerin Lisa Horvath bei ihrer Auseinandersetzung mit "Onkel Wanja" beschäftigt. Jedenfalls haben sie im Akademietheater für Tschechows "Szenen aus dem Landleben" ein grandioses System aus unterirdischen Gängen errichtet.

Die Bühne, ein leicht schräg gestellter Kasten, ist bis auf die Ränder und einige Verstrebungen in der Mitte aufgesägt. Über den so entstandenen Vertiefungen sind netzartig Stoffbahnen gespannt. Den Schauspielern stehen damit zwei Ebenen zur Verfügung, eine oben, eine unten. Da hocken sie nun wie Maulwürfe in ihren Erdlöchern. Oder aber sie kippen einfach in ihre Löcher, so als wären sie von der russischen Erde mal eben verschluckt worden. Das ist komisch anzusehen, spiegelt aber auch die Malaisen wider, mit der die Figuren geschlagen sind: Langeweile, Frust, Suff, Liebeskummer. Und Blindheit.

Blind sind ja zunächst alle bei Tschechow. Gutsverwalter Wanja (Dimitrij Schaad) erkennt nicht, dass sein alter hypochondrischer Schwager Alexander (Helge Schupp) eine Luftblase von Kunstprofessor ist, der ihn nur ausnutzt. Er ist mehr Schein als Sein, folgerichtig lässt ihn die Regisseurin nur über einen Bildschirm zu Wort kommen. Jelena (hübsch madamig: Bettina Lieder), die junge Frau Alexanders, gesteht sich nicht ihre Liebe zu Astrow ein, dem kauzigen Arzt. Astrow (elegant verzweifelt: Christian Arndt Sanchez) wiederum will nichts von

Sonja (überzeugend erdig: Gisa Flake), Alexanders Tochter, wissen. Sie ist herzensgut, aber nun mal keine Schönheit. Im Verborgenen brodelt es also gewaltig, ein Fünkchen Erkenntnis genügt, und alles gerät aus den Fugen. Dimitrij Schaad spielt denn auch Wanja von Beginn an als hochexplosives Pulverfass, hippelig und laut.

Doch Tschechow wäre nicht Tschechow, wenn am Ende seines theatergeschichtlich zukunftsweisenden Dramas nicht wieder Ruhe einkehren würde. Alle reisen ab, zurück bleiben nur Wanja und Sonja. FLORIAN WELLE

Braunschweiger Zeitung 07. Juni 2005
Dann macht es Bumm! 2006
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Braunschweiger Zeitung  20.Juni 2003
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